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40 ehemalige Schüler des Heilpädagogiums trafen sich in Missende / Wie ihnen das Heim geholfen hat, sich selbst zu finden

Missunde. Andreas Krieg wirkt aufgeschlossen und selbstsicher. Mit seiner eigenen Musikschule in Eckernförde hat er sich bewiesen, dass er als musikalisch begabter Menschen auch geschäftlich seinen Mann steht. Sichtbar stolz ist er auf seine Familie. Ein Mensch, mitten im Leben. Aber das war nicht immer so. "Als ich aus Berlin ins Heilpädagogium nach Missunde kam, dachte ich, das sei das Ende", sagt Andreas Krieg in Erinnerung an seine Jugendzeit, "heute weiß ich, dass es der Anfang war". Er sei ein schwieriges Kind gewesen, eins mit wirklich problematischer Vergangenheit. Wo damals Kinder aus einem Heim auftauchten, hieß es in den Köpfen der Menschen: "Macht die Türen zu. Die sind gewalttätig und kriminell." Ein Stempel, den Andreas Krieg sich aufdrücken ließ. "Hier im Heim hatte ich das erste Mal eine Chance zu beweisen, dass ich genauso nicht war". Er nutzte die Chance und steht ganz offen dazu. "Hätte ich dieses Heim nicht gehabt, wäre ich auf der Straße, womöglich im Knast gelandet." 


Am vergangenen Sonnabend trafen sich rund vierzig ehemalige Schüler des Heilpädagogiums in Missunde auf dem Zeltplatz, um gemeinsam mit den Betreuern an die Zeit zu denken, die sie wie keine andere geprägt hat. In diesem Jahr hatte Susanne Strandberg die Leitung des Treffens in der Hand. Auch sie ist ein "Urgestein" des Heilpädagogiums, wie sie lächelnd zugibt. Sie ist mit der Einrichtung ebenso eng verwachsen, wie die Absolventen. Die meisten blicken heute dankbar auf die Zeit im Heim zurück, auch wenn sie durchaus um die Lage von Heimkindern wissen. "Wenn du nicht anders wirst, kommst du ins Heim" - Dieser Satz, ausgesprochen von Eltern oder einem gesetzlichen Vormund, ist und bleibt eine Drohung. Die letzte, ultimative Lösung, wenn Erziehungskonzepte in der Familie nicht greifen und das Kind nicht erreichbar ist. "Ich würde mein Kind nie ins Heim geben, trotz aller guten Erfahrung", sagt Andreas Krieg heute, obwohl sein Heimaufenthalt für seine Biographie so wichtig war. 

Anja Rockstroh aus Hamburg, sieht es lockerer. "Manchmal wünsche ich meinen Kinder eine Woche im Heim, damit sie sehen, wie gut sie es zu hause haben", scherzt sie. Auch sie hat Heimerfahrung. Nach verschiedenen Heimaufenthalten kam sie mit sieben Jahren ins Heilpädagogium an die Ostsee. "Ich war wirklich ein Haudegen", gibt sie heute zu. Wenn etwas nicht nach ihrer Nase gegangen sei, habe sie auch zugeschlagen, war aggressiv und gewaltbereit. Eine Aussage, die man der sympathischen, sportlichen Blondine kaum abnehmen kann. Aber auch ihre damalige Betreuerin, Renate Hämmerlein, die zu dem Ehemaligentreffen gekommen ist, gesteht die Fehler ihres Schützlings von damals ein. "Aber andererseits war sie auch ehrlich. Eine richtig aufrechte Haut", sagt sie über Anja Rockstroh. 

Acht Jahre lang wurde sie von Schwester Renate betreut, Jahre, in denen Freundschaft und Zuneigung gewachsen sind. Die junge Anja wurde mit Sport beschäftigt. Das habe sie gerne gemacht, manchmal habe sie zwanzig Stunden in der Woche Sport getrieben, erinnert sie sich. Da konnte sie ihre Energie loswerden, Stress kompensieren, wurde ausgeglichener und zugänglicher. "Das Heim hier war das Beste, was mir passieren konnte!", sagte Anja heute und auf ihren Lebensweg ist sie zu Recht stolz. Schulabschluss, Ausbildung zur Friseurin, Weiterbildung zur Drogeriefachkraft, Ehe, Kinder - ein harmonischer Weg, der so schwer begann und den die heute 41-Jährige so selbstbewusst und zielorientiert geht. Sogar ins Fernsehen hatte sie geschafft und damit eine gewisse Bekanntheit erreicht, als sie in der Reality-Show "The biggest Loser" ihren festen Willen unter Beweis stellte und bis ins Halbfinale vordrang. Ein bewegtes Leben, das vermutlich deutlich anders verlaufen wäre, wenn sie nicht im Heilpädagogium auf die für sie richtige Bahn geschoben worden wäre. 

"Es wurde schon so viel über die Aufgaben und Ziel des Heilpädagogiums gesagt und geschrieben", sagt Susanne Strandberg. Mir ist wichtig zu vermitteln, dass sich hinter den Kindern starke Persönlichkeiten verbergen, die ihren Weg machen können und aufbauend auf ihren Erfahrungen ihr Leben mit anderen teilen. "Du kommst ins Heim" sollte vor diesem Hintergrund ein Satz sein, der an Schrecken verlieren kann, wenn man sich mit den Menschen unterhält, die am besten wissen, was ihr Heimaufenthalt für sie bewirkt hat. Die Treffen mit den ehemaligen Heimkindern bieten einen guten Anlass, auch darüber einmal zu reflektieren, auch wenn der Abend dann wieder ganz privat war und die Schüler von damals die Jahre bis zum Erwachsensein einfach streichen und in den Erinnerungen der Kindheit und Jugend schwelgen konnten.

Wolfgang Dreesen
Letzte Aktualisierung: 16.08.2013

Quellenangabe und Copyright:
12.08.2013| Iris Haulsen| Eckernförder Zeitung, shz.de